Mobile ERP

Mobile ERP: “Große Erleichterung für die Anwender”

Mobile Lösungen gewinnen im Bereich des Enterprise-Resource-Planning (ERP) zunehmend an Bedeutung. Experte Prof. Norbert Gronau spricht im Interview über Voraussetzungen, Umsetzung und Nutzen von Mobile ERP.

Herr Prof. Gronau, in Umfragen kritisieren Benutzer von ERP-Software häufig die unzureichende mobile Einsetzbarkeit ihrer Lösungen. Warum ist Mobile ERP für Unternehmen mittlerweile so wichtig?

Prof. Norbert Gronau: ERP-Systeme haben inzwischen eine äußerst komplexe Oberfläche, weil sie eine Vielzahl von Funktionen zur Bearbeitung der im Unternehmen existierenden Daten für die Benutzer bereitstellen müssen. Bei einigen Systemen ist zu beobachten, dass die Anwender ständig nach der “richtigen” Funktion in einer speziell dafür vorgesehenen Funktionssuche suchen. Für mich ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Systeme mittlerweile überkomplex geworden sind. Mobile Lösungen zeigen, dass es auch anders, sprich: einfacher geht.

 

Norbert Gronau
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau ist wissenschaftlicher Leiter des Center for Enterprise Research (CER) an der Universität Potsdam sowie Hauptherausgeber der Fachzeitschrift ERP Management. Gronau studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin, wo er sich im Jahr 2000 am Institut für Wirtschaftsinformatik habilitierte. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Betriebliches Wissensmanagement und Wandlungsfähige ERP-Systeme.

 

Welche Anwender in den Unternehmen brauchen denn überhaupt mobile ERP-Anwendungen und worin liegt der Nutzen von Mobile ERP?

Gronau: Klassische Nutzungen mobiler Anwendungen finden sich im Lager, am Point of Sale und bei Kunden im Vertrieb, um nur einige Beispiele zu nennen. Einen neuen Impuls erhält dieses Thema durch den Trend zu Bring Your Own Device (BYOD), also zur Integration privater, mobiler Endgeräte wie Smartphones und Tablets in Unternehmensnetzwerke. Damit einher gehen zahlreiche Business-to-Consumer-Beispiele, die zeigen, wie einfach es sein kann, auch komplexe Datenstrukturen mit drei Fingertips zu bearbeiten.

Inwiefern unterscheidet sich beim Thema Mobile ERP der Bedarf von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gegenüber größeren Firmen?

Gronau: In unserem Beratungsportfolio finden sich sowohl kleine und mittlere Unternehmen mit circa 30 Nutzern als auch große Unternehmen mit mehreren tausend Nutzern. KMU unterscheiden sich von großen Unternehmen nicht hinsichtlich ihres Bedarfs, sondern meines Erachtens vor allem in der Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen getroffen werden und in der Professionalität der IT-Administration. Letztere ist in Großunternehmen deutlich umfassender ausgeprägt.

“Kleine und mittlere Unternehmen brauchen bei der Umstellung auf mobile ERP-Anwendungen viel stärker den Hersteller, da sie weniger eigene Ressourcen als große Firmen einsetzen können.”

Was ist bei mobilen ERP-Anwendungen vorzuziehen: sogenannte native Apps, die für das Betriebssystem eines Mobilgeräts speziell entwickelt wurden, oder Webapplikationen, die plattformunabhängig im Browser laufen?

Gronau: Bei dieser Frage sind verschiedene Sichtweisen zu berücksichtigen. Zuerst natürlich die Sicht des Anbieters, der ungern zusätzlichen, doppelten oder mehrfachen Entwicklungsaufwand hat. Der Anbieter bevorzugt daher häufig Webapplikationen, dann ist er mit einer bestimmten Funktionalität schnell am Markt – allerdings in einer Version, die nicht optimal an das Endgerät des Benutzers angepasst ist.

Der Anwender bevorzugt meistens native Applikationen auf seinem Endgerät, weil er dann die gewohnte Bedienung, die auf seinem Endgerät Standard ist, erwarten kann.

Der Administrator hat andere Interessen, die eher in den Bereichen Zugang, Geräteverwaltung und Sicherheit liegen. Dies kann man typischerweise mit entsprechenden Geräteverwaltungs-Werkzeugen lösen. Grundsätzlich würde ich immer für die Wahl einer Entwicklungsumgebung plädieren, die mit geringem Anpassungsaufwand native Apps aus einem ansonsten einheitlichen Code erzeugt.

Wie schaffen Unternehmen den Übergang von einer rein stationären ERP-Lösung hin zu mobilen Anwendungen? In welchen Schritten sollte man dabei vorgehen?

Gronau: Zuerst einmal sollte das ERP-System diesen Übergang zu mobilen Anwendungen überhaupt erlauben. Dann ist es zwingend erforderlich, dass die Prozesse entsprechend gestaltet sind. Wir arbeiten in unseren Beratungsprojekten mit der Freeware-Lösung Modelangelo. Damit lässt sich für alle Geschäftsprozesse sehr leicht aufzeigen, wo eine Mobilisierung von Prozessen zum Einsatz kommen kann.

Spielen die Unternehmensgröße und die Branche eine Rolle im Hinblick auf die Gestaltung mobiler Prozesse?

Gronau: Nein, wir halten die Gestaltung mobiler Prozesse für unabhängig von der Größe des Unternehmens und der Branche. Es ist aber generell notwendig, dass der Prozess durchgängig mobil ist. Beispielsweise kann es nicht sein, dass der Kunde mit einem iPad am Eingang des Ladens empfangen wird, der Verkaufsvorgang weitestgehend mithilfe dieses Geräts durchgeführt wird, und der Kunde dann am Ende gebeten wird, sich doch noch einmal in die Schlange an der Kasse einzureihen. Das ist kein durchgängiger Prozess. So etwas muss im Sinne einer Customer Journey vermieden werden.

Welche Herausforderungen in puncto Datensicherheit ergeben sich durch die mobile Nutzung von ERP-Funktionen – und wie lassen sich diese lösen?

Gronau: Bürosoftware, speziell die eines namhaften Herstellers und das Betriebssystem dieses Herstellers stehen zurzeit viel stärker im Fokus von Cyberangriffen als ERP-Systeme. Häufig geht es auch gar nicht um die Sicherheit der Daten, sondern um Themen wie Verfügbarkeit und um die Abwehr von Distributed-Denial-of-Service(DDoS)-Angriffen sowie von Spam-Möglichkeiten oder der Einschleusung von Schadsoftware.

“Eine Zwei-Faktor-Authentisierung mithilfe mobiler Endgeräte, die der Benutzer jederzeit mit sich führt – nicht etwa mit stationärer Hardware – und stets aktuelle Software sowie eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter sind die notwendigen Voraussetzungen für das Erreichen eines hohen Maßes an Datensicherheit.”

Wir entwickeln übrigens gerade am Lehrstuhl Prozesse und Systeme für ein Online-Lehrprogramm, das im Frühjahr 2021 für diese Themen zur Verfügung stehen wird.

Wohin wird die Reise beim Thema mobiles ERP in den kommenden Jahren gehen?

Gronau: Wir sehen ganz klar einen rollenbasierten ERP-Client, der auf jedem Gerät läuft und im Bedarfsfall die gesamte ERP-Funktionalität angemessen bereitstellt. Das stellt aus unserer Sicht für manchen Anbieter einen riesigen Schritt dar und gleichzeitig eine große Erleichterung für die Anwender. Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen, da kann man die Wartungsgebühren direkt einmal gegenrechnen gegen eine zunehmende Produktivität durch mobile ERP-Lösungen.

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