Schnittstellen zur Automatisierung: Standardlösung oder Individualprogrammierung nutzen?
Für Unternehmen wird es immer wichtiger, Geschäftsprozesse zu automatisieren. Hierzu müssen die verschiedenen digitalen Systeme über Schnittstellen miteinander verknüpft werden. Dieser Beitrag nennt Anwendungsbeispiele sowie die Vor- und Nachteile von standardisierten und individuell programmierten Schnittstellen.
Viele Geschäftsprozesse laufen preisgünstiger, schneller und fehlerfreier ab, wenn man sie mithilfe von IT-Systemen über Schnittstellen automatisiert. Dadurch wird das Personal von Routinetätigkeiten entlastet und den Mitarbeitern bleibt mehr Zeit für ihre Kernaufgaben. Zudem gilt in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je zuvor: Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens steht und fällt mit der Fähigkeit, Partner, Kunden, Lieferanten, Bewerber und die Öffentlichkeit (z.B. über soziale Netzwerke, eigene Website) auf effiziente Weise in die eigenen Unternehmensprozesse digital einzubinden. Hierfür benötigt man Schnittstellen. Eine geeignete Schnittstellen-Software einzusetzen ist somit essenziell. Zusammen mit dem ERP-System bildet sie eine Schlüsseltechnologie.
Typische Anwendungsbeispiele für Schnittstellen
Schnittstellen-Software kommt heute in zahlreichen Unternehmen zum Einsatz. Hier eine kleine Auswahl an häufigen betrieblichen Szenarien und Abläufen, die ohne Schnittstellen nicht realisierbar wären:
- Der Kunde sendet EDIFACT-Daten und diese sollen als Auftrag importiert werden.
- Die Rechnung zum selben Auftrag soll anschließend per EDIFACT zurückgesendet werden.
- Lieferanten senden Artikel-Preislisten in Form einer Excel-Datei, und die Preise sollen in die eigene Artikeldatenbank importiert werden.
- Es besteht die Anforderung eines Kunden, eine SAP IDoc Orders-Datei als Bestellung einzulesen.
- Die PDF-Rechnung eines erledigten Auftrags soll um ZUGFeRD-Daten angereichert werden, damit der Auftraggeber diese automatisch verarbeiten kann.
- Aus einem Webportal wird eine openTrans-Datei bereitgestellt – diese soll einen Auftrag oder eine Bestellung in der Fakturierungssoftware erzeugen.
- Das CAD-Programm generiert eine Stückliste als XML-Datei, welche unter Berücksichtigung vorhandener Einkaufsartikel in den Stücklistenstamm importiert werden soll.
- Es fallen Maschinendaten, Rückmeldedaten, Laufzeiten, technische und Statusinformationen von Ihren Maschinen und Fertigungsstandorten an, die zu Abrechnungszwecken verarbeitet werden sollen (Industrie 4.0).
- Im Onlineshop fallen Bestellungen an, die in der Fakturierungssoftware weiterverarbeitet werden sollen.
- Kontoauszüge von Zahlungsanbietern (wie PayPal) sollen unter Berücksichtigung offener Posten in der Finanzbuchhaltung gebucht werden.
- Die Lagerbestände und Preise sollen regelmäßig an den Onlineshop, ein Webportal und Lieferanten verteilt werden.
Anhand dieser Beispiele ist erkennbar, dass die Anwendungsmöglichkeiten für Schnittstellen fast unendlich sind. Dabei ist es je nach gewünschtem Automatisierungsgrad möglich, Schnittstellen sogar vollkommen autonom agieren zu lassen. Das führt dazu, dass die Zusammenarbeit mit externen Organisationen und IT-Systemen um ein Vielfaches einfacher, schneller und fehlerfreier wird. Um dies zu erreichen, werden verschiedene Arten von Schnittstellen am Markt angeboten. Es lässt sich im Wesentlichen zwischen Standard- und Individualsoftware unterscheiden. Beide Arten haben Vor- und Nachteile.
Schnittstellen als Standardsoftware
Standardsoftware wird für einen breiten Nutzerkreis entwickelt. Daraus folgt ein meist günstigerer Preis gegenüber einer individuell programmierten Schnittstelle. Darüber hinaus profitieren die Nutzer oft von Hersteller-Unterstützung durch Wartung und Pflege der Schnittstelle. Wartungsbedarf kann sich zum Beispiel aus Aktualisierungen der angeschlossenen Systeme oder aus Gesetzesänderungen ergeben. Darüber hinaus sind meist umfangreiche Dokumentationen, Schulungen und Praxisleitfäden verfügbar, was den Einsatz erheblich erleichtern kann.
Ein wichtiges Argument für Standardsoftware ist ihre schnelle Verfügbarkeit, denn sie muss nicht erst zeitaufwendig entwickelt werden.
Bei Schnittstellen als Standardsoftware muss man aber berücksichtigen, dass möglicherweise Kompromisse beim Funktionsumfang hingenommen werden müssen. Deckt die Schnittstellen-Software die eigenen Anforderungen nur teilweise ab, kann das mögliche Automatisierungspotenzial nicht vollständig ausgeschöpft werden.
Standardisierte Schnittstellen für Unternehmen werden überwiegend als Miet- oder Kauflizenz mit Wartungsverträgen angeboten.
Schnittstellen als Individualsoftware
Eine individuelle Schnittstelle ist eine Software, die für die Bedürfnisse des Unternehmens maßgeschneidert entwickelt wird. Sie kann sich daher den Vorstellungen des Unternehmens und dessen speziellen Geschäftsprozessen anpassen. Solässt sich eine möglichst durchgängige Automatisierung umsetzen und das volle Optimierungspotenzial nutzen.
Anders als bei Standardsoftware muss das beauftragende Unternehmen die Entwicklungskosten einer Individualprogrammierung in der Regel vollständig tragen. Daraus resultieren höhere Gesamtkosten gegenüber einer Standardschnittstelle und eine längere Projektdauer bis zum Einsatz der Software.
Die Kosten für eine individuell programmierte Schnittstelle scheinen anfangs zwar höher als bei der Lizenzierung von Standardsoftware zu sein, allerdings fallen sie einmalig an und sind planbar. Der Faktor Kosten rückt in den Hintergrund, sobald die Schnittstelle dem Unternehmen Wettbewerbs- und Kostenvorteile verschafft und sich die Investition dadurch amortisiert.
Vorteilhaft kann es zudem sein, dass Besonderheiten und eher untypische Datentransformationen durchgeführt werden können. Standardisierte Schnittstellen hingegen lassen die Umsetzung spezieller Anforderungen auf der Detailebene nur sehr begrenzt zu.
Der wohl häufigste Grund für den Einsatz einer individuellen Lösung ist aber das Nichtvorhandensein einer passenden Standardschnittstelle. Ist das der Fall, bleibt Unternehmen nur die Möglichkeit, eine Schnittstelle individuell programmieren zu lassen.
Standardisierte Schnittstelle oder Individualprogrammierung – was bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist
Viele Unternehmen unterschätzen die technische Komplexität des Themas Schnittstellen. Das liegt oft daran, dass Systeme wie die Warenwirtschaftssoftware große Teile der Komplexität vor den Anwendern verbergen.
Soll die Schnittstelle für einen bestimmten Teilbereich genutzt werden, muss man diesen aber genauestens betrachten. Das kann die Implementierung von Schnittstellen komplex werden lassen. Wenn zum Beispiel eine Standard-Schnittstelle zu einem Onlineshop angeboten wird, ist einiges an Aufwand damit verbunden, diese auch tatsächlich an das Onlineshop-System anzuschließen. Die Schwierigkeiten beginnen beim Angleichen von Stammdaten auf Feldebene, sie betreffen Datentransformationen (z.B. bei unterschiedlichen Zahlungsweisen oder Kundennummern zwischen beiden Systemen) und enden mit Synchronisationsintervallen und auszugleichenden Lagerdifferenzen.
In der Praxis kommt es häufig vor, dass Standard-Schnittstellen nicht passen und dass eine individuelle Lösung für den Anwendungsfall entwickelt werden muss. Der Dienstleister des Vertrauens sollte mit beiden Systemen, die es zu verbinden gilt, Erfahrungen haben – also beispielsweise sowohl mit der Warenwirtschaftssoftware als auch mit dem Onlineshop.
Manchmal lässt sich auch auf eine Standard-Schnittstelle zurückgreifen, die dann an die individuellen Bedürfnisse angepasst wird. Ob dies möglich ist, hängt von der Schnittstelle ab und lässt sich mit dem Hersteller klären. Dadurch lassen sich die Vorteile aus Standardsoftware und individueller Programmierung verbinden.
Die Entscheidung für eine dieser Schnittstellen-Arten ist nicht leicht und sollte wohlüberlegt getroffen werden. Die folgenden Fragen können bei der Entscheidungsfindung helfen:
- Müssen Daten in beide Richtungen ausgetauscht werden? (also z.B. vom Shopsystem zum Warenwirtschaftssystem und zurück?)
- Müssen die Daten wirklich alle paar Minuten aktualisiert werden? Oder reicht es aus, wenn dies einmal täglich geschieht?
- Müssen alle Daten 100-prozentig gleich sein, oder sind manuelle Nacharbeiten im gewissen Umfang tragbar?
- Welche Kosten kann die Schnittstelle einsparen (z.B. durch die Entlastung von Personal)?
- Kennt sich der Schnittstellen-Dienstleister mit beiden Systemen, die verbunden werden sollen, aus?
- Gibt es bereits Standardlösungen am Markt – und leisten Sie das, was gebraucht wird?
Lesen Sie auch:
>> Shopsystem mit Wawi – welche Lösungen sich gut verbinden lassen
>> Warenwirtschaft für Onlinehandel – Fit in 6 Schritten
Daniel Peters ist selbstständiger Software-Entwickler aus Hamburg. Er ist spezialisiert auf E-Commerce-Schnittstellen und entwickelt Software zum Verbinden von Warenwirtschaftssystemen mit Onlineshops und Marktplätzen. Zudem berät er Onlinehändler, E-Commerce-Agenturen und Softwarehersteller bei der Implementierung von Schnittstellensoftware im E-Commerce-Umfeld. [danielpeters.eu]
Bildquellen: WrightStudio – stock.adobe.com (Beitragsbild oben), Daniel Peters (Porträt)