Warenwirtschaft und Produktion digitalisieren: 7 Tipps für KMU
Durch gezielte Digitalisierung können auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ihre Abläufe und die Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsbereiche nachhaltig verbessern. Unser Gastautor, der Experte Jürgen Grabowski, erklärt in diesem Beitrag, wie Unternehmen vorgehen sollten, wenn sie ihre Warenwirtschaft und Produktion digitalisieren möchten.
Wir leben in einer Welt der Individualisierung: So individuell wie das Privatleben gestaltet wird, entwickeln sich auch die Prozesse in Unternehmen. Umso erstaunlicher ist es, dass trotz dieser Vielfalt die etablierten Arbeitsschritte in vielen Betrieben branchenübergreifend oft auf die gleichen Hürden stoßen. Betrachtet man die Situation in KMU, treten immer wieder typische Probleme in den Bereichen Warenwirtschaft und Produktion auf.
Die Produktion als Mysterium
Produktionsaufträge bleiben bis zu ihrer Fertigstellung oft ein unergründliches Mysterium: Vom Büro aus ist nicht nachvollziehbar, wie weit ein Fertigungsauftrag fortgeschritten ist und ob die verfügbaren Materialien ausreichen. Zudem ist häufig unklar, wie viel Zeit letztlich auf den Auftrag verwendet wurde, was eine Prüfung der Angebotskalkulation erschwert.
Mit Excel-Tabellen versucht man, Wissenslücken punktuell zu schließen. Dies führt jedoch zu einer Dokumentenflut, deren Komplexität kaum noch zu bewältigen ist. Besonders problematisch wird es, wenn der Urheber der Basis-Excel-Tabelle das Unternehmen verlässt.
Digitalisierung als Lösung
Digitalisierung kann Unternehmen helfen, die genannten Defizite in Warenwirtschaft und Produktion zu beheben. Die Betonung liegt dabei auf „kann“. Digitalisierung kann analoge Prozesse in die digitale Welt überführen und den Mitarbeitern die passenden Werkzeuge und Informationen bereitstellen.
Richtig und konsequent umgesetzt, kann der Weg der Digitalisierung zunächst schmerzhaft sein. Langfristig bietet er jedoch Lösungen für viele unternehmerische Probleme. Doch eine falsche Abzweigung, das Verharren in veralteten Prozessen oder Einsparungen an den falschen Stellen können die geplante Digitalisierung ins Fiasko führen. Daher empfiehlt es sich, jedes Digitalisierungsvorhaben sorgfältig zu planen. Die folgenden Tipps geben Hinweise, wie Unternehmen vorgehen sollten, um die Abläufe in ihrer Warenwirtschaft und Produktion zu digitalisieren.
7 Tipps zur erfolgreichen Digitalisierung von Warenwirtschaft und Produktion
1. Prozesse analysieren
Bevor man beginnt, ein Warenwirtschaftssystem und Produktionssoftware zu installieren sowie teure Industrie-Hardware zu kaufen, muss man sich erst klar darüber werden, wie der digitale Arbeitsablauf im Unternehmen aussehen soll. Komplizierte und veraltete Prozesse durch Software vereinfachen zu wollen, ohne die grundlegenden Probleme anzugehen, führt in der Regel zum Scheitern.
Ebenso wenig nützt es, blind eine Software zu kaufen, ohne die Lücken zu kennen, die es zu schließen gilt. In solchen Fällen ist die Gefahr groß, dass sich im Nachhinein herausstellt, dass die Software überdimensioniert ist oder wichtige Funktionen fehlen. Um erfolgreich die Warenwirtschaft und Produktion zu digitalisieren, ist eine gründliche Planung und Analyse der bestehenden Prozesse unerlässlich.
2. Das Werkzeug „Software“
Sind die digitalen Prozesse definiert und die Abläufe, bei denen Software unterstützen soll, herausgearbeitet, erfolgt die Auswahl des Warenwirtschaftsprogramms. Dabei gilt: Die Software muss sich an die Anforderungen der neuen Unternehmensstrukturen anpassen – und nicht umgekehrt. Wesentliche Werkzeuge zur Unterstützung der Wertschöpfungskette sollten nicht auf Provisorien aufgebaut werden. Es ist daher nicht empfehlenswert, ein System zu implementieren, das von Anfang an nur „gerade so“ funktioniert.
Eine Software muss immer Spielraum für zukünftiges Wachstum lassen, damit sie mit dem Unternehmen wachsen kann. Gleichzeitig sollte sie die Nutzer nicht mit ihrem Funktionsumfang überfordern, denn der Erfolg eines softwaregestützten Arbeitsablaufs hängt stark von der einfachen Bedienbarkeit ab. Erhöhen unnötige Programmkomponenten die Komplexität, wird das neue Tool bei den Nutzern auf wenig Begeisterung oder im schlimmsten Fall sogar auf Widerstand stoßen.
3. Wachstum durch Schnittstellen
An dieser Stelle befinden wir uns wieder tief im Dunstkreis der Individualisierung. Wie bereits erwähnt, muss sich die Software an das Unternehmen anpassen und nicht umgekehrt. Ein individuell entwickeltes Warenwirtschaftssystem kann dies zu 100 Prozent leisten, jedoch sollte die Sinnhaftigkeit dieser Lösung gegen den Investitionsspielraum abgewogen werden, da Individualsoftware definitiv kostspielig ist.
Es ist deutlich preiswerter, auf eine Warenwirtschaftslösung zu setzen, die sich über Schnittstellen mit anderen Funktionen kombinieren lässt. Schnittstellen bieten der Software flexibles und teilweise individuelles Wachstumspotenzial. So kann man ein Warenwirtschaftsprogramm auch nachträglich um Planungstools, Lagersoftware, Produktionssoftware, Apps für mobile Endgeräte oder Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM) erweitern. Dieser Ansatz ermöglicht es Unternehmen, ihre Warenwirtschaft und Produktion schrittweise zu digitalisieren, ohne die hohen Kosten einer maßgeschneiderten Lösung.
4. Eine Software ist nur so gut wie ihre Datenstruktur
Bei der Einrichtung der Software legt man die Datenbasis fest, die im Unternehmen zukünftig verwendet wird. Es ist ratsam, hier ausreichend Zeit zu investieren, um die eigene Artikelstruktur zu analysieren und eine passende Datenstruktur zu definieren. Dabei sollte man klar festlegen, welche Artikel an welchen Stellen im Arbeitsablauf wie und warum identifizierbar sein müssen. Auf dieser Grundlage können Artikelarten, Belegprozesse und weitere Informationsstrategien entwickelt werden. Eine Neustrukturierung der Datenbestände im laufenden Betrieb ist deutlich aufwendiger, insbesondere bei umfangreichen Bestands- oder Beleghistorien.
5. Die richtige Hardware
Wenn das Warenwirtschaftssystem implementiert ist und um zusätzliche Module und Komponenten erweitert werden soll, stellt sich die Frage nach der passenden Hardware. Angesichts des vielfältigen Angebots an Industrie-Hardware ist es herausfordernd, den Überblick zu behalten und sich nicht von den neuesten technologischen Errungenschaften in die Irre führen zu lassen. Bei der Einführung technischer Innovationen gilt es, diese sorgfältig zu prüfen und nicht um jeden Preis einzusetzen.
Die beste Antwort auf die Frage nach der Hardware erhält man oft durch die Mitarbeiter, die damit arbeiten werden. Denn trotz der Verlockung, Bestände per RFID mit dem Smartphone umzubuchen, nützt es letztlich wenig, wenn – um es drastisch auszudrücken – das achte Retina-Display bei einem Sturz auf Beton zerbricht.
6. Personelle Ressourcen schaffen
Die Einführung von Softwaresystemen erfordert Zeit, die man sich wirklich nehmen sollte. Überhastete Entscheidungen können später zu schwerwiegenden Hindernissen führen, die das gesamte Vorhaben gefährden. Letztlich geht es darum, die Kernabteilungen des Unternehmens zu vernetzen und Wissen sowie Informationen effektiv zu verteilen, um den Ablauf der Wertschöpfungskette reibungsloser und effizienter zu gestalten. Daher sollte man betroffene Mitarbeiter frühzeitig in die Gestaltung der digitalen Prozesse einbeziehen und ihnen dafür ausreichend Zeit einräumen. Sie sind die Experten in ihrem Arbeitsbereich und können wertvolle Informationen beitragen oder auf bisher unerkannte Probleme hinweisen. Die Einbindung der Mitarbeiter wirkt zudem präventiv gegen ablehnendes Verhalten oder Berührungsängste, die bei spürbaren Veränderungen wie der Digitalisierung auftreten können.
7. Hilfe von außen in Anspruch nehmen
Es ist eine Herausforderung, sich selbst aus dem eigenen Unternehmen zu lehnen und einen objektiven Blick auf die Geschehnisse innerhalb der Organisationsstrukturen zu gewinnen. Ohne diesen klaren Blick ist es jedoch äußerst schwierig, die tatsächlichen Ursachen von Problemen in den Abläufen zu erkennen. Es reicht nicht aus, ein Problem nur zu beschreiben; man muss auch die Ursache identifizieren und eine geeignete Lösung finden.
Wenn es allein nicht möglich ist, ein digitales Abbild der Prozesse zu erstellen oder sich im Dschungel der Hard- und Software für kleine und mittelgroße Fertigungsbetriebe zurechtzufinden, empfiehlt es sich, einen externen Berater hinzuzuziehen. Ein solcher Berater bringt die notwendige Objektivität, Erfahrung und oft auch spezifisches Wissen über branchenübliche Soft- und Hardware mit. Im Interesse einer effizienten Lösungsfindung sollte dieser Schritt besser früher als später in Betracht gezogen werden.

Jürgen Grabowski ist Geschäftsführer und Leiter der Softwareentwicklung bei der albos computer GmbH.
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