Auftragsabwicklung digitalisieren

Digitale Auftragsabwicklung – Voraussetzung für effiziente Prozesse

Viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) führen ihre Auftragsabwicklung bisher papierbasiert und manuell durch. Warum das die Wettbewerbsfähigkeit einschränken kann und weshalb digitale Auftragsabwicklung besser ist, das erläutert Experte Prof. Dr. Jochen Scheeg im Interview.

Weshalb kann es für Unternehmen ungünstig sein, die Auftragsabwicklung papierbasiert und manuell durchzuführen?

Scheeg: Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass die Auftragsabwicklung ein umfassender Vorgang mit zahlreichen Arbeitsschritten und Dokumenten ist. Der Auftrag als solcher ist zwar der Kern des Prozesses, jedoch stellt dieser nur einen kleinen Ausschnitt in der gesamten Abwicklung dar. Daher muss man sich die gesamte Prozesskette mit ihren Teilschritten – von der Angebotserstellung über die Auftragsbestätigung bis hin zur Erstellung und/oder Prüfung von Lieferscheinen – vor Augen halten.

Um diese Prozesskette effizient bearbeiten zu können, ist es notwendig, dass sämtliche Beteiligte den gleichen Informationsstand haben. Dabei gilt: Je arbeitsteiliger der Prozess von der Angebotserstellung bis hin zur Lieferung organisiert ist, desto wichtiger ist der einheitliche Informationsstand.

“Die Nutzung von Papier führt zwangsläufig zu Informationsasymmetrien. Das bedeutet, die Beteiligten haben nicht den gleichen Informationsstand.”

Häufig müssen Daten doppelt erfasst werden: auf Papier und später noch einmal im System. Weitere Nachteile des papierbasierten Arbeitens: Papier ist nicht automatisch aktuell. Das führt zu Abweichungen in Zeit und Inhalt. Papier kann zudem verloren gehen und verlegt oder beschädigt werden. Darüber hinaus kann man nur eingeschränkt gemeinsam an Vorgängen arbeiten. All dies akzeptieren wir nur deshalb, weil wir an Papier gewöhnt sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Papierbasierte Prozesse tendieren zu Informationsasymmetrien und diese führen zu Ineffizienz.

Jochen Scheeg
Prof. Dr. Jochen Scheeg ist Professor für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationsmanagement und Unternehmensführung. Bei seinen Forschungsarbeiten steht die digitale Transformation von Unternehmen und Verwaltung im Mittelpunkt. Vor seiner Berufung an die Technische Hochschule Brandenburg war er mehr als 15 Jahre in Leitungspositionen in der IT- und Telekommunikationsindustrie und Beratung tätig. Die Technische Hochschule Brandenburg ist mit dem Institut für Innovations- und Informationsmanagement Partner von _Gemeinsam digital.

 

Was haben Unternehmen konkret davon, wenn sie die Prozesse der Auftragsabwicklung digitalisieren?

Scheeg: Die digitale Auftragsabwicklung ist die Voraussetzung für einen effizienten Prozess. Der praktische Nutzen entsteht bei allen Mitarbeitern, die auf Informationen anderer angewiesen sind. Lassen Sie mich das am Beispiel der Warenannahme auf Basis von Lieferscheinen verdeutlichen.

Nehmen wir für den Moment an, die Aufgabe besteht darin, eine Lieferung auf Basis eines Lieferscheins zu prüfen. Hierzu muss die Warenannahme die Bestellung mit all ihren Positionen mit der entsprechenden Menge kennen. Das avisierte Lieferdatum und die Ankündigung möglicher Teillieferungen unterstützen die Arbeitsplanung. Im weiteren Verlauf der Prüfung können Abweichungen in Art und Menge der Lieferung unmittelbar mit der Einkaufsabteilung geteilt werden. Diese kann entsprechend den Wareneingang buchen, Reklamationen veranlassen, Nachbestellungen auslösen und mit den Lieferanten eine Klärung herbeiführen.

 

Viele Mittelständler befürchten bei der Digitalisierung hohen technologischen Aufwand und setzen sie deshalb immer wieder an das Ende der Agenda. Welche grundlegenden Voraussetzungen sollten denn erfüllt sein, bevor ein Projekt zur Digitalisierung der Auftragsabwicklung starten kann?

Scheeg: Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Der Fokus liegt hier weniger auf der Technik als auf den Prozessen. Eine zentrale Grundlage ist es sicherlich, stabile Prozesse zu haben. Sobald die Prozesse hinreichend definiert und stabil sind, lassen sie sich auch digital unterstützen. Die Kernfragen sind dann: Wie umfassend soll eine digitale Lösung sein? Welches Potenzial an Digitalisierung soll unmittelbar ausgeschöpft werden und welche Potenziale lassen sich gegebenenfalls später mit einer vernünftigen Aufwand-Nutzen-Relation erschließen?

Unabhängig von der Unternehmensgröße ist die Einführung von betrieblicher Software immer mit erheblichem Zeit- und Ressourcenaufwand für die Beteiligten verbunden. Gerade bei KMU haben Unternehmer vielfach wenig Erfahrung und fühlen sich bei den Entscheidungen unsicher. Dadurch entsteht zuweilen die Tendenz zur Einführung sehr großer und komplexer Lösungen. Der Hintergrund für solche Entscheidungen ist die Vermutung oder Hoffnung, dass durch die Entscheidung für eine große Lösung die Zukunftssicherheit quasi garantiert ist. Die größere Lösung muss jedoch nicht besser sein – und auch nicht zukunftssicherer.

Zudem benötigen nicht alle Unternehmen Echtzeitdaten zu Lagerbeständen, und nicht alle benötigen voll automatisierte Buchungsroutinen. Daher sollten zunächst die zentralen Probleme bzw. Handlungsfelder identifiziert werden.

 

Wie geht man die Digitalisierung der Auftragsabwicklung am besten an? Welche Schritte sollten in welcher Reihenfolge gemacht werden?

Scheeg: Gute Digitalisierungsprojekte schaffen Vorteile und fügen sich in die Arbeitsabläufe ein. Den Startpunkt bildet die Formulierung der Zielstellung. Auf dieser Basis erfolgt eine umfassende Analyse der Ausgangssituation. Hierzu zählen auch die Analyse von verfügbaren Technologien, die Identifikation von marktverfügbaren Lösungen, Trendermittlungen etc. Es geht also keinesfalls nur um die Betrachtung eines Ausschnitts einer Prozesskette.

Auf Basis der Analyse und der Ermittlung des Bedarfs in den Prozessen und in den Bedürfnissen der Prozessbeteiligten werden die Kernergebnisse und -erkenntnisse zusammengefasst. Diese sogenannte Synthese ist der Ausgangspunkt für die Gestaltung von Lösungsansätzen.

Im nächsten Schritt sind die Lösungsansätze, gegebenenfalls anhand von Prototypen, zu testen. Fallsmehrere Lösungsansätze realisiert wurden, sind diese zu vergleichen. Erst im nächsten Schritt wird dann die ausgewählte Lösung implementiert.

“Es darf auf keinen Fall vergessen werden, die Qualifikationen und Fähigkeiten der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Jede Lösung kann am Ende ihr Potenzial nur in der aktiven Nutzung entfalten.”

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht immer um unternehmerischen Nutzen im Sinne von Effizienz oder Effektivität – oder beidem gleichzeitig. So lässt sich beispielsweise durch Digitalisierung mit positiven Nutzererlebnissen mehr Umsatz realisieren. Oder Prozesse können effizienter und robuster gestaltet werden.

“Jede Branche hat eigene Schwerpunkte. Jedes Unternehmen hat seinen eigenen Startpunkt.”

Handel und Dienstleistungen sind oft geprägt durch die Gestaltung der Kundeninteraktion bis hin zu sogenannten „Kundenerlebnissen“. Hier geht es bei der Digitalisierung primär um Shopgestaltung, Nutzerführung, Auftrags- und Kundenanalysen etc. Bei der Effizienz der Auftragsabwicklung geht es im Kern um die Warenwirtschaft, automatisierte Katalogdaten und/oder Schnittstellen der Warenwirtschaft zum Großhandel oder zu Herstellern mit Produktdaten. Im Handwerk sind die Kernthemen oftmals die automatisierte Angebotserstellung bzw. die Auftragsdokumentation zur Vorbereitung der Rechnungsstellung.

 

Wie finden Unternehmer heraus, welchen Grad an Digitalisierung sie in der Auftragsabwicklung brauchen, damit ihr Betrieb künftig wettbewerbsfähig bleibt?

Scheeg: In den seltensten Fällen haben KMU alle Ressourcen mit dem notwendigen Fachwissen an Bord. Es ist daher hilfreich und üblich, sich externe Unterstützung zu holen. Nach unserer Erfahrung ist es gut, wenn diese Unterstützung – gerade in den frühen Phasen – nicht von Softwareherstellern kommt, sondern herstellerunabhängig erfolgt.

“Es gibt mittlerweile zahlreiche kleine, intelligente Lösungen, die einzelne Problemstellungen hervorragend lösen. Bei der Auswahl sollte auf Schnittstellen und Datenaustauschmöglichkeiten geachtet werden.”

Mit dem gewonnenen Verständnis zur Nutzung und mit zunehmender Erfahrung lässt sich der tatsächliche Bedarf besser abschätzen. Gerade für KMU hat der Spruch „Groß denken und klein anfangen“ einen besonderen Wahrheitsgehalt.

Digitale Auftragsabwicklung – Praxisbeispiel für kleinere Unternehmen

Bildquellen: Alexander Umbach/Fotolia.com (großes Beitragsbild), Jochen Scheeg (Porträt)

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